Freitag, 20. November 2015

Bis ans Ende der Welt- Der Weg nach Finisterre!


Endlich war es wieder soweit! 2Tage nicht laufen empfand ich als sehr anstrengend und so freute ich mich wieder den Rucksack zu schnallen und in die Wanderschuhe zu schlüpfen.
Zu viert stiefelten wir los und fanden den Weg nicht! Dieses Problem hatte ich in Städten ja schon öfter. Andreas, der Techniker setzte sein Smartphone in Gang und wir folgten ihm bedingungslos, bis ich sagte:" Jungs, dass ist die völlig falsche Richtung, dass kann nicht stimmen." Meinem Vorschlag zur Kathedrale zu gehen und neu zu suchen nahmen sie an, doch noch bevor wir da waren, hatte das Wundergerät einen neuen Weg und die Kerle trabten wieder der Technik hinterher! Nach 5 Minuten wurde Han klar, dass es nicht stimmte ( ich war schon vorher sicher) und so "noch einmal das schöne Spiel",.... Dann stimmte wenigstens die Richtung, aber Pfeile sahen wir nicht. Ich unterließ meine Dementi, denn gegen 3 Männer hatte ich keine Chance. Wir kamen auf eine Landstraße und eine Spanierin stoppte ihr Auto und erklärte uns, dass wir falsch seien! Wir sollten zurückkehren. Niemals! Im nächsten Ort zeigte uns ein Mann einen Weg, auf dem wir zum Camino  zurück kamen und mit 3 Mehrkilometern waren wir richtig. Mich verwunderte, dass er immer noch als " Camino de Santiago" ausgeschildert ist, denn Santiago lag hinter uns. Der Weg ging hoch und runter, war ziemlich anstrengend und Willem hat eine Geschwindigkeit vorgelegt, da kam ich nicht mit. In Aguapesada ging es dann richtig steil 250 Höhenmeter hoch und ich merkte es in meinen Achillissehnen! Es ging wieder durch Eukalyptuswälder und der  herbwürzige Geruch war wunderbar.
In Ponte Maceira setzten sich Han und ich auf eine Steinbank in die Sonne, um auszuruhen.( Willem und Andreas waren nicht mehr gesehen!) Wir hörten jemanden fröhlich singen und eine alte, runzlige Frau kam behend und trällernd aus dem Wald. Das war sehr rührend, diese Lebensfreude in dem faltigen Gesicht zu sehen.
In den Gärten blühten Kamelien und die Zitrus- und Orangenbäume trugen leuchtende Früchte. Palmen so groß, wie ich sie nur aus Filmen kenne, standen hier in den Vorgärten, wo auch noch Azaleen blühten, welche Pracht.
Danach ging es abwärts und nach 26 km waren wir in Negreira. Es war erst 14 Uhr und das Wetter herrlich, sodass wir beschlossen nach einem Picknick weiter zulaufen. Was hatte mich da nur geritten? Es ging nämlich wieder steil bergauf-100 Höhenmeter! Ich dachte immer zum Meer geht es bergab, aber Irrtum.
Als wir in Vilaserio nach 37 km ankamen war ich "Fix und Foxi" und meine Achillissehnen waren ein einziges Schmerzbündel! Willem hatte uns schon ein Bier bestellt und das war ein Lichtblick. Die private Herberge dagegen war keiner! Keine Heizung, lauwarmes Wasser aus der Dusche, Spinnweben in den Ecken und Schimmel an der Decke.16 Betten, aber nur 6 belegt.12€ bezahlten wir dafür und dass ist dreist! Es gibt keine Alternative, denn die städtische Herberge ist schon im Führer schlimmer beschrieben. Andreas fluchte, weil es nicht einmal Internet gab und es kalt ohne Ende war.Ich zog alles an, was ich hatte und kroch in den Schlafsack, bevor wir in die Bar zum Essen gingen.
Die Nacht war angenehm leise, bis 6.30 Uhr der Wecker der Koreaner klingelte. Von da an ging es hin und her und es raschelte und knisterte, dass ich aufstand. Die Jungs taten dasselbe und so waren wir 8 Uhr Abmarschbereit. Frühstück gab es erst ab 9 Uhr und so liefen wir in der Dämmerung in einen wunderbaren Morgen. Willem hastete wieder davon, aber ich trat meinen Tritt und genoss den Sonnenaufgang und machte ein paar Fotos.

Der Weg ging wieder hoch und runter und ich glaubte fest, dass ich über 7 Berge gehen muss, um das Meer zu sehen. Heute waren 4 dran! Ich merkte jeden An und - Abstieg und war froh, als nach 8 km Frühstückspause war. Der Wirt hatte nicht viel Lust und so gab es Bocadillo mit Chorizo und Kaffee. Es ging weiter durch die herrlichen Eukalyptuswälder und dazwischen Kiefern, was der Nase ein extra würzig- harzigen Duft bescherte. Ich lief als Letzte und genoss die Ruhe und Kraft der Natur.
Nach Hospital ging der Weg den nächsten Berg hoch, aber diesmal verlief der Weg am Bergrücken entlang. Rechts plätscherte lieblich ein kleines Flüsschen und links unten brauste ein großer Fluss und ich dazwischen hatte einen herrlichen Klangteppich voll Wassermusik. Es blühten gelbe Büsche, die wie Ginster aussahen, aber spitze Blätter/ Nadeln hatte.
Ja und nach 30 km kamen wir in Dumbria an, wo uns eine moderne, große und saubere Herberge erwartete. Wir waren die Einzigen und so nahm ich mir die Freiheit einen " Frauenruheraum" zu eröffnen! Ein Zimmer für mich allein, für 6€! Perfekt. Ich duschte und kochte Kaffee. Dann kam die Hospitalera und wir konnten uns anmelden. Danach ging es ins Dorf, um einzukaufen. Aber die Internetjunkies brauchten erst einmal Wifi und so landeten wir in einer Bar, an der der Supermercado angeschlossen war und wir tranken etwas, bevor wir etwas zu essen kauften.
Han hat einen guten Wein ausgesucht und ich gab zu bedenken, dass in der Herberge keine Gläser vorhanden waren. Also baten wir die Besitzerin der Bar uns 4 Weingläser bis morgen früh zu leihen. In einem Mix aus Spanisch,Englisch und mit den Händen. Sie tat es tatsächlich und packte sie uns noch bruchsicher ein. Welch eine nette Frau! Ob dass in Deutschland auch gegangen wäre?
Unterwegs kamen wir an vielen, kleinen und teilweise verlassenen Dörfern vorbei und diese verfallenen Häuser erinnerten mich an einen Spiegel- Bericht über den Verfall von Dörfern auf Grund des Bevölkerungsrückgangs auf dem Land. Dort waren computeranimierte Bilder von Häusern, die von der Natur zurück erobert wurden. Verfallen, von Efeu überwuchert und in der Mitte wachsen Bäume. Es war für mich irgendwie unvorstellbar und nun lief ich durch Regionen, wo dies schon stattfindet!
Erschreckend, aber auch irgendwie verwunschen schön.

Am  Morgen wurde ich vom plätschern vor dem Haus geweckt. Es schüttete! Ich deckte den Frühstückstisch und als wir gegessen hatten, hatte der Regen aufgehört. Aber der Himmel war bleigrau und regenverhangen, sodass ich gleich im Regenoutfit startete, was klug war, denn nach 15 min begann es erneut zu regnen. So sollte es die nächsten 5 Stunden bleiben, mit mal mehr oder weniger Regen und Wind. Naja, ändern konnten wir es nicht, aber ich schwitzte so unter dem Cape, dass ich die Kapuze absetzte, denn die Haare waren so oder so nass. Der Weg war heute nur hügelig und weniger steil, die Etappe vergleichsweise kurz und ich blickte mich um und entdeckte wieder viel Blühendes. So sah ich heute Hortensien, Callas, jede Menge fleißiges Lieschen und Teppiche von lila Blumenkissen und einer gelben anemonenartigen Blume.
3km vor Muxia konnte ich das erste Mal das Meer sehen und dass war wunderschön, obwohl es auch nur grau in grau leuchtete. Aber einmal im Jahr noch das Meer sehen hat für mich etwas.

In Muxia gibt es eine fast perfekte Herberge mit einer Bewertung von 9,6.
Wir bekamen unsere " Muxia", ein Diplom für den Weg von Santiago nach Muxia zu Fuss! Jetzt sammel ich Urkunden! 
Wir duschen so heiß es geht ( leider nicht so heiß, wie ich es aushalte) und " legten" uns trocken. Die nassen Klamotten steckte ich das letzte Mal in die Waschmaschine.
Wir gingen an das Meer und das Wetter wurde etwas besser. Dann kauften wir ein und kaum waren wir zurück, regnete es wieder.

So wie der gestrige Tag endete, so fing der letzte Tag an! Es regnete und regnete und Willem meinte seine Wetterapp hätte nur 7% Regen angezeigt und es hört gleich auf. Ich vertraute ihm und zog nur die Regenjacke an. Welch ein fataler Fehler, denn die meinte wohl 7% Wahrscheinlichkeit, dass es aufhört.( Oder hatte er für Holland geschaut?) Also liefen wir den größten Teil des Weges durch Natur, die ich aber nicht wahrnehmen konnte, weil die Brille vom Schwitzen beschlagen und von Regen tropfnass war. Ich musste sehen, dass ich die Füße hoch genug nahm, damit ich nicht hinfiel. Hier wären Kontaktlinsen angebracht gewesen. Alles wurde klitschnass, Geld, Taschentücher, Unterwäsche, Socken...  So waren heute nicht mal Fotos möglich, da Handy und Kamera regensicher im Rucksack verstaut waren.Solange wir liefen war alles gut. Es gab nur kleine Dörfer ohne Bar am Weg und so gab es die erste Pause in Firxe, wo es ein Häuschen mit Getränkeautomat und WC gab. Nach 22 km kamen wir an einer " Initiative" vorüber, wo es gegen Donativo einen heißen Kaffee gab und ein Tuch zum Brille trocknen. So konnte ich auf den nächsten 10 m herrlich große, blühende Trompetenbäume und Hibiskus sehen. Dann war nichts mehr zu sehen. Han meinte, dass der letzte Tag uns nochmal die Härten des Pilgerlebens zeigt. Er behält recht, denn es regnete den ganzen Tag und wir kamen in Finisterre an und sahen regengraues Meer und hatten überhaupt keine Lust zum Kap zu laufen.Wir gingen zur öffentlichen Herberge und holten uns unsere letzte Urkunde, die "Finisterra"  ab. Wir suchten uns noch schnell ein Restaurant bevor sie Siesta machten und aßen Hamburger.

Für Andreas war nun Schluss. Er fuhr mit dem Bus nach Santiago zurück, da sein Flug morgen früh nach Hamburg geht. Wir suchten uns eine Herberge und fanden diese mit Hilfe von Markus ( der seit 3 Tagen hier ist) bei Sonia. Sie gab uns ein Viererzimmer zum Herbergspreis und das war ganz nett. Wir legten uns und unsere Sachen ( mittels Trockner) erst einmal trocken und ruhten aus. Han und ich gingen einkaufen, denn die Herberge hatte eine super ausgestattete Küche, sodass wir wieder kochen konnten.
Ja und nun bin ich am Ende der Welt und meine Pilgerreise ist nach 137 Tagen zu Ende. Was soll ich dazu sagen? Das Ritual des Socken verbrennens haben wir auf Grund des Wetters auf morgen verschoben oder, sollte es nicht besser werden, lassen wir es!
So richtig realisieren werde ich es wohl erst, wenn ich am Samstag im Flieger sitze, bzw. Holger am Flughafen um den Hals falle.
Was ich auf der Reise erlebt habe, habe ich ja hier im Blog recht anschaulich berichtet und was davon bleibt? Das wird die Zukunft zeigen.
Jedenfalls hatte ich eine wunderbare und unvergessliche Zeit und bin dankbar, dass ich sie so erleben durfte, mir soviele verschiedene Menschen begegnet sind, soviel Sympathie und Toleranz entgegen gebracht und auf dem Camino gelebt wurde.
Vor allem bin ich meiner Familie dankbar, die auf dem Weg zu mir gestanden und es erst möglich machte, dass ich völlig entspannt das Abenteuer angehen konnte. Dies ist nicht selbstverständlich, wie ich so oft erlebte.
Ein besonderes Dankeschön gebührt vor allem meinem Sohn Tim Pepe, der trotz Berufstätigkeit den Blog fast immer pünktlich einstellte und viel Geduld mit seiner Mutter hatte. Meiner Tochter Svea Danke für das "Kopf waschen" in Metz und Danke Holger, dass du mich gehen ließest! DANKE! DANKE! DANKE!
Zum Schluss noch ein bisschen Statistik, was mir gerade so durch den Kopf geht:
137 Tage
davon 7 Ruhetage und 4 1/2 Ruhetage ( Tage unter 15 km)
d.h.durchschnittlich 27 km pro Tag
39€ durchschnittliche Ausgaben pro Tag inkl. Neuanschaffungen und Reparaturen
130 verschiedene Betten und Unterkünfte ( vom Wohnwagen, über Herberge bis zum Hotel alles in verschiedensten Zuständen)
137 Tage eine Geschichte,
davon 136 positive Erlebnisse
4 Tuben Pferdegel
6 Tuben Hirschtalgcreme
4 Packungen Blasenpflaster
Ich bin in den Fotoalben folgender Nationen zu finden:
Polen, Rußland, Holland, Belgien, Deutschland, USA, Mexico, Brasilien, Australien,Kanada, Frankreich, Irland, Schottland, Korea, Japan, Island, Italien.
Ja und wer noch mehr wissen möchte, der kommt einfach mal vorbei!
Denn jetzt geht dieser Blog, leider ohne Sonnenuntergangsbild vom Ende der Welt zu
               E N D E

4 Kommentare:

  1. Danke für deine wundervollen Berichte. Habe deine Pilgerreise mit großem Interesse verfolgt und mich über deine Berichte sehr gefreut.
    Christian :-)

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  2. Vielen Dank, dass du deinen Pilgerweg als blog für so viele Interessierte öffentlich gemacht hast. Es war sehr schön und teilweise sehr berührend, deinen Weg indirekt mitzugehen.
    Ich wünsche dir, dass du wieder gut im Alltag und in deiner Familie ankommst und dich deine camino- Erfahrungen dabei begleiten!

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  3. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  4. Das war schon ihre erlebnissen zu lesen. Fur mich hat es viele erinnerungen.
    Zuhause fangt den camino richtig an.

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